10. April 2022

«Wochendiagnose: die Transplantationsfrage»

In der Regel sind wir an den Antworten interessiert. Manchmal ist es aber ebenso wichtig, die Frage richtig zu stellen.

Mitte Mai gelangt eine der meistdiskutierten Fragen der Gesundheitspolitik und Medizinethik zur Volksabstimmung: in der Revision des Transplantationsgesetzes geht es darum, unter welchen Umständen verstorbenen Personen ein Organ zur Transplantation entnommen werden darf, welches wiederum einem anderen Menschen das Leben retten kann.

In der Schweiz herrscht ein notorischer Mangel an gespendeten Organen, was sich in langen Warte- und Leidenszeiten und vorzeitigen Todesfällen äussert. Deshalb ist es richtig und wichtig, die Bemühungen zur Förderung der Organspende zu verstärken.

Heute muss der oder die Verstorbene zu Lebzeiten die Zustimmung zur Organentnahme geäussert haben. Liegt keine Zustimmung vor, werden die Angehörigen befragt, ob eine solche gegeben ist (erweiterte Zustimmungslösung). Diese wird oft nicht erteilt. Neu soll die sogenannte erweiterte Widerspruchslösung gelten: Organe können nach dem Versterben entnommen werden, falls kein Widerspruch vorliegt. Ist keine Willensäusserung des/oder Verstorbenen ersichtlich, werden die Angehörigen befragt. Sie können Widerspruch erklären, wobei sie den mutmasslichen Willen der verstorbenen Person beachten müssen.

Geändert wird also die Frage: Es wird nicht mehr explizit nach Zustimmung gefragt, sondern nach Widerspruch. Für alle, die sich der Frage zu Lebzeiten bewusst stellen, ist das kein grosser Unterschied. Für die andernfalls befragten Angehörigen hingegen schon; für sie wird die Hürde höher, eine Organentnahme zu verhindern.

Als Gesundheitsdirektor werde ich der neuen Regelung zustimmen, weil sie absehbar zu mehr Organspenden führen und dadurch unnötiges Leiden und Sterben verhindern wird. Unabhängig vom Resultat begrüsse ich, dass die Transplantationsfrage öffentlich gestellt wird. Hoffentlich wird sie vermehrt individuell zu Lebzeiten beantwortet.

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Wochendiagnose: die Transplantationsfrage