27. Mai 2023

«Wochendiagnose: Mensch»

Ich staunte nicht schlecht: Die Chefredaktorin des Duden gibt den Kindern recht. Zum Thema der politischen Korrektheit des Alltags-Sprachgebrauchs schlug sie in einem Interview Anfang Woche vor, möglichst allgemeine Formulierungen zu verwenden, etwa «Menschen» statt «Patienten» zu schreiben.

So, wie es sich unsere Kinder schon angewöhnt haben. Da gibt es kaum Studierende, Reisende oder eben Patienten, sondern zumeist einfach Menschen. Dafür spricht in der Tat vieles, denn Mensch steht für sehr viel gemeinsames Wichtiges, so wie das etwa Herbert Grönemeyer im gleichnamigen Titel grossartig besingt.

Der Sprach-Arbeiter in mir meldet sich aber mit Skepsis: «Ohne Klarheit in der Sprache ist der Mensch nur ein Gartenzwerg» heisst es im ironisch-melancholischen Lied «Alle vier Minuten» aus dem «Romantik»-Album von Element of Crime. Macht es nicht doch einen Unterschied, ob in einem bewaffneten Konflikt kombattante Militärs beschossen werden oder Zivilpersonen, ob das weibliche Opfer eines Sexualverbrechens von einer Ärztin oder einem Arzt untersucht wird oder welchen ethnischen Hintergrund die demokratische Vizepräsidentschaftskandidatin in den US-Wahlen hat?

Sicher soll man Inklusivität und Genauigkeit der Sprache möglichst kombinieren. Ein gewisses Spannungsverhältnis wird indessen bleiben. Gegen Ende der Woche mit bereichernden Begegnungen unter anderem im Kreis von Migrationskirchen neige ich eher wieder Grönemeyer, der Duden-Chefin und den Kindern zu.

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